Blickpunkt Fed: Hohe Inflation verzögert Zinssenkungen

Die über den Erwartungen liegenden US-Inflationszahlen für März haben die Hoffnungen auf eine baldige Disinflation zunichte gemacht. Dies hat Auswirkungen auf die Fed und die Finanzmärkte. Während wir davon ausgehen, dass der mittelfristige Disinflationstrend intakt bleibt, scheint eine baldige Abkühlung der Inflationsdynamik, die eine Zinssenkung im Juni noch retten könnte, außer Reichweite zu sein. Wir gehen nun davon aus, dass die Fed die Leitzinsen im September senken wird, dass US-Treasury Renditen kurzfristig hoch bleiben, bevor sie mittelfristig sinken, und dass der US-Dollar nicht nur durch einen divergierenden Kurs der Fed zur EZB, sondern auch durch geopolitische Risiken gut unterstützt bleibt.

Disinflation trotz eines robusten Arbeitsmarktes - zu schön, um wahr zu sein?

In der zweiten Jahreshälfte 2023 schien alles dafür angerichtet zu sein, dass die Federal Reserve ihr Inflationsziel von 2 % erreicht, ohne der US-Wirtschaft allzu großen Schaden zuzufügen. Ab Juni deuteten sowohl die VPI- als auch die PCE-Inflationszahlen im Großen und Ganzen auf eine abnehmende Preisdynamik hin, während sich das Wirtschaftswachstum trotz des aktuell schwierigen Umfelds bemerkenswert gut entwickelte und im dritten und vierten Quartal die Erwartungen sogar übertreffen konnte. Diese wirtschaftliche Stärke wurde durch einen robusten Arbeitsmarkt gestützt, der im Laufe des letzten Jahres zwar etwas an Anspannung verlor, dabei aber keineswegs einbrach und somit den Konsum und die Gesamtwirtschaft stützte. Trotz der anhaltenden Stärke der Wirtschaftstätigkeit und des Arbeitsmarktes schien also eine allmähliche Abkühlung der Inflation eine realistische Aussicht zu sein. Am Horizont zeichnete sich also ein Best-Case-Szenario ab.

Doch die Disinflationsdynamik veränderte sich im Jänner. Sowohl die VPI- als auch die PCE-Daten lagen im Jänner deutlich über den Markterwartungen und deuteten darüber hinaus auf einen recht breit gefächerten Preisdruck hin. Im Februar war die Inflation im Vergleich zum Vormonat weniger weitläufig, aber die Preisdynamik verblieb dennoch auf einem erhöhten Niveau. Des Weiteren war der beschriebene Anstieg der Inflation sowohl bei der Gesamtinflation als auch bei der Kerninflation (welche Preise für Energie und Nahrungsmittel exkludiert) zu beobachten. Insbesondere der Aufschwung der letztgenannten Komponente (siehe Grafik unten) nährte Zweifel an der Nachhaltigkeit des in der zweiten Jahreshälfte 2023 beobachteten Disinflationsprozesses. Letztendlich erwiesen sich die in der vergangenen Woche veröffentlichten VPI-Daten für März als letzter Sargnagel für die Hoffnung auf einen Durchmarsch in Richtung des Inflationsziels von 2 %. Da sie erneut über den Erwartungen lagen, vervollständigten die Daten nicht nur das Bild einer hartnäckigen Inflationsdynamik im gesamten ersten Quartal 2024, sondern zeigten auch, dass statistische Faktoren allein keine plausible Erklärung für die starken Datenveröffentlichungen der ersten beiden Monate des Jahres sind.

Inflationsdynamik hat im neuen Jahr zugenommen
Letzter Datenpunkt für PCE Inflation basiert auf Nowcast der Cleveland Fed, rote Linie stellt Inflationsziel dar
Quelle: LSEG, Cleveland Fed, RBI/Raiffeisen Research

Es sollte betont werden, dass die PCE-Inflation, das bevorzugte Preismaß der Federal Reserve, in der jüngeren Vergangenheit im Allgemeinen weniger stark angestiegen ist als die VPI-Inflation (mit Ausnahme des starken Anstiegs im Januar). Dies ist größtenteils darauf zurückzuführen, dass die Wohnkosten, die eine der Hauptursachen für den anhaltenden Inflationsdruck sind, in der PCE-Inflation ein geringeres Gewicht haben als in der VPI-Inflation. Die Daten zur PCE-Inflation im März wurden noch nicht veröffentlicht, aber Schätzungen auf der Grundlage bereits verfügbarer Daten deuten darauf hin, dass die Inflationsdynamik erneut etwas gedämpfter sein wird als bei der VPI-Messung. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass insbesondere die Kerndienstleistungsinflation bei beiden Indikatoren zuletzt hartnäckiger ausfiel als erhofft, was die Befürchtung aufkommen ließ, dass die Inflation zu lange zu hoch bleiben könnte. Die immer noch anhaltende Stärke der Wirtschaft - und des Arbeitsmarktes - nährt diese Befürchtungen noch weiter, da insbesondere starke Lohnentwicklungen zu einer hartnäckigen Inflationsentwicklung beitragen können. Zwar scheint der generelle disinflationäre Pfad noch nicht gänzlich gefährdet zu sein, doch die Tatsache, dass die Inflation hartnäckiger geworden ist als bisher angenommen, hat erhebliche Auswirkungen auf die Federal Reserve, da diese datenabhängig agiert. Für die Notenbank stellt sich letztlich die Frage, wann sich die Inflationsdynamik wieder abkühlt und ob eine nachhaltige Annäherung an das 2 %-Ziel realistisch ist, sobald dies der Fall ist.

Ist die Fed zurück bei "Hoch für länger"?

Um es klar zu sagen: Wir glauben, dass die Inflationsdaten vom März für die Fed von Bedeutung sind. Als Reaktion auf die höher als erwartet ausgefallenen Inflationsdaten - im dritten Monat in Folge - haben wir unsere Erwartung einer ersten Zinssenkung durch die Fed von Juni 2024 auf September 2024 verschoben. Das bedeutet zwei statt drei Zinssenkungen im Jahr 2024. Bis zur Juni-Sitzung wird die Fed nur einen weiteren Monat an Inflationszahlen erhalten. Diese können angesichts der aktuellen Lage der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes und der Inflation nicht genug Vertrauen in den Disinflationsprozess (zurück-)geben, damit die Fed ihre abwartende Haltung aufgibt. Der Juli wäre die nächste Möglichkeit für die Fed zu handeln. Bis zur Juli-Sitzung wird die Fed ein vollständiges Bild über das zweite Quartal haben. Sollte die Inflationsdynamik wieder auf das Niveau vom zweiten Halbjahr 2023 zurückkehren, ist eine Zinssenkung im Juli nicht auszuschließen. Sollte die Inflationsdynamik im zweiten Quartal 2024 jedoch nur mäßig sinken, könnte die Fed bis September warten, um mehr Vertrauen in den Disinflationsprozess zu gewinnen. Im Offenmarktausschuss der Fed wird ein Konsens für zwei Leitzinssenkungen im Jahr 2024 unseres Erachtens auf wenig Widerstand stoßen. In den März-Prognosen des Offenmarktausschusses waren bereits 9 von 19 Mitgliedern der Ansicht, dass der Leitzins Ende 2024 zwischen 4,75 und 5,0 % oder höher liegen sollte. Der Median blieb jedoch bei einer Spanne von 4,5 bis 4,75 % (drei Zinssenkungen in 2024). Würde die Umfrage heute durchgeführt werden, würden wir erwarten, dass sich der Median um eine Stufe nach oben verschieben würde (auf zwei Zinssenkungen in 2024).

Die Markterwartungen in Bezug auf die Zinsaussichten der Fed haben sich im bisherigen Jahresverlauf erheblich verändert. Zu Beginn des Jahres rechneten die Zinsmärkte mit fünf bis sechs Zinssenkungen von jeweils 25 Basispunkten (BP) im Jahr 2024 (insgesamt 147 BP). Jetzt hat sich die Erwartung auf ein bis zwei Zinssenkungen (insgesamt 40 BP) verschoben. Der Markt hat sich von der Disinflationseuphorie zum Jahresende 2023 auf die Sorge um die anhaltende Inflation verlagert. Insgesamt sind wir jedoch der Ansicht, dass die heutigen Marktpreise dem fundamentalen Bild näher kommen als zu Beginn des Jahres. Wie immer spiegelt der Markt auch Risiken wider. Diese Risiken scheinen derzeit eher nach oben als nach unten gerichtet zu sein (eher weniger als mehr Zinssenkungen der Fed). Wir sehen jedoch die Risiken für unsere aktualisierte Prognose von zwei Zinssenkungen im Jahr 2024 als ausgewogen an.

Markteinschätzung zur Fed hat sich von Disinflationseuphorie zu Jahresende 2023 zu Sorgen um persistente Inflation verschoben
* basiert auf kurzfristigen Forwards der EFFR OIS Kurve
Quelle: LSEG, RBI/Raiffeisen Research

Auswirkungen auf Finanzmärkte und aktualisierte Prognosen

Für US Treasury Renditen war die Veröffentlichung der VPI-Inflation im März ein Schock. Auch wenn die Marktreaktion auf den ersten Blick nicht im Verhältnis zum Ausmaß der Inflationsüberraschung zu stehen scheint, so ist es doch eine Verschiebung hin zu einem neuen Narrativ einer persistenteren Inflation, die hinter der Marktreaktion steht. Entsprechend unserer aktualisierten Prognosen für die Federal Funds Rate haben wir auch unsere Prognosen für Treasury Renditen nach oben korrigiert. Da wir den mittelfristigen Disinflationstrend und damit auch den (noch aufgeschobenen) Zinssenkungszyklus der Fed weiterhin für intakt halten, gehen wir von mittelfristig sinkenden Renditen aus. Allerdings halten wir den Spielraum für einen kurzfristigen Renditerückgang gegenüber dem derzeitigen Niveau für eher begrenzt.

Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass die Renditen von US-Staatsanleihen weltweit als einer der wichtigsten sicheren Häfen gelten. Mit der Erwartung des - letztlich realisierten - iranischen Angriffs auf Israel am Wochenende gingen die Renditen in einer klaren Risk-Off Stimmung zurück. Zwar lässt sich nicht ohne weiteres vorhersagen, wie sich die geopolitischen Spannungen im Nahen Osten weiter entwickeln werden, doch scheint es wahrscheinlich, dass die Sichere-Hafen-Prämie für US-Treasuries in den nächsten Wochen erhalten bleibt. So sollten Renditen in nächster Zeit sowohl von der makroökonomischen/datengetriebenen Volatilität beeinflusst werden, die sich auf Fed-Erwartungen auswirkt, sowie von der Nachfrage nach sicheren Häfen aufgrund der geopolitischen Unsicherheit/Entwicklungen.

US-Inflationsdynamik und geopolitische Risiken prägen die Märkte aktuell
Intervall: 30M
Quelle: LSEG, RBI/Raiffeisen Research

Für EUR/USD ist die aktuelle Kombination aus Ereignissen eindeutig US-Dollar-unterstützend. Einerseits dürfte der verspätete Zinssenkungszyklus der Fed angesichts der Tatsache, dass die EZB mit ihrer Zinssenkung im Juni voll auf Kurs bleibt, die Differenzen am kurzfristigen Geldmarkt - und damit die Arbitragemöglichkeiten - zugunsten des US-Dollars verschieben. Andererseits ist die Möglichkeit, dass sich geopolitische Risiken weiter materialisieren, ebenfalls ein positiver Faktor für den US-Dollar, ganz zu schweigen von der Aufmerksamkeit, die die US-Präsidentschaftswahl auf sich ziehen wird, die wir als negativen Faktor für den Euro ansehen, sollte Trump in den Meinungsumfragen zulegen. Unsere Aussichten für EUR/USD sind daher eher gedämpft, mit einem weiteren kurzfristigen Abwärtstrend (2. Quartal: 1,05) und nur einem moderaten Aufwärtstrend für den Rest des Jahres (2. Halbjahr: 1,08), sobald die US-Notenbank dem Zinssenkungsclub beitritt.

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Franz ZOBL

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Franz ist seit 2020 im Team Economics, Rates, FX bei Raiffeisen Research tätig und beschäftigt sich federführend mit US-Geldpolitik, Benchmark Renditen und EUR/USD. Als Volkswirt blickt er auf einige Jahre Berufserfahrung im Finanzsektor zurück. Er hält einen PhD von der London School of Economics und hat an der Wirtschaftsuniversität Wien, der Universität Wien sowie der Universität Tilburg studiert. Er ist Autor wissenschaftlicher Artikel im Bereich der Makroökonomie und hegt eine Leidenschaft für Wirtschaftsgeschichte.

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Markus TSCHAPECK

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Markus hat Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien und an der Universität Tilburg studiert. Nachdem er einige Praktika in der Finanzindustrie absolviert hat, ist Markus seit Herbst 2022 im Team Economics, Rates & FX der Raiffeisen Research tätig. Aufgrund seines akademischen Hintergrunds beschäftigt er sich vornehmlich mit der quantitativen und qualitativen Analyse globaler ökonomischer Entwicklungen. Neben seinem Interesse für Volkswirtschaftslehre und Finanzen kann sich Markus sehr für Kraftsport und Fußball begeistern.