Heimischer Immobilienzyklus: Mehr im "besten Alter" denn "altes Eisen"
Immobilienzyklen sterben nicht an Altersschwäche, sondern werden „umgebracht“, sprich es bedarf eines oder mehrerer Ereignisse, die dem Zyklus ein Ende bereiten. Eine markante und lang andauernde Rezession mit entsprechenden Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt und der Einkommensseite, ein deutlicher Zinsanstieg innerhalb kurzer Zeit jeweils in Verbindung mit einer vorangegangenen, nicht nachhaltigen Kreditexpansion können mögliche Katalysatoren einer Preiskorrektur auf den Immobilienmärkten sein. Faktoren, die in Österreich nicht absehbar bzw. beobachtbar sind, weshalb aktuell auch wenig für ein Ende des Zyklus spricht. Gleichwohl gilt: Der heimische Wohnimmobilienzyklus (inflationsbereinigt) nahm seinen Anfang im Jahr 2005 und dauert damit mittlerweile bereits gut 15 Jahre an. Im historischen Vergleich gehört der aktuelle Zyklus damit zu den längsten. Nach unseren Berechnungen auf Basis der OECD Immobilienpreisdaten für 34 globale Industrieländer wiesen nur Belgien (1986-2013: 28 Jahre) und die Niederlande (1992-2009: 17 Jahre) seit 1970 längere Immobilienzyklen auf, 40 % der gut 50 identifizierten Zyklen haben eine durchschnittliche Lebensdauer von 5-7 Jahren. Auffällig ist hingegen, dass der österreichische Zyklus auf dem Wohnimmobilienmarkt gegeben seiner Länge über die gesamte bisherige Lebensdauer betrachtet einen unterdurchschnittlichen realen Preisanstieg verzeichnet hat, was im Sinne der langfristigen Tragfähigkeit des Marktes positiv zu werten ist.
Langlebiger Zyklus*, jedoch nicht sehr intensiv |
OeNB, Refinitiv, RBI/Raiffeisen Research |
* Definition Zyklus: Immobilienpreisindex eines Quartals liegt über dem Durchschnitt der vorangegangenen 8 Quartale |
Verhältnis Preise zu Mieten spricht für fundamental gerechtfertigte Preisanstiege
Dennoch bestätigen die Daten das subjektive Gefühl einer gewissen Entkoppelung der Immobilienpreise von der Einkommensentwicklung. So hat sich das Verhältnis von Immobilienpreisen zu verfügbaren Haushaltseinkommen (Price-to-Income Ratio) in den letzten Jahren in stärkerem Maße erhöht als andernorts. Österreich ist hier mit Deutschland und den Niederlanden zwar in „guter Gesellschaft“, gehört aber im betrachteten Ländersample (34 Länder) zu den Spitzenreitern, was auch einer unterdurchschnittlichen Einkommensentwicklung geschuldet ist. Anders hingegen der Befund beim Blick auf das Verhältnis von Immobilienpreisen zu Mieten (Price-to-Rent Ratio), wo Österreich in der unteren Hälfte vorzufinden ist. Die Schere zwischen Immobilienpreisen und Mieten ist in den letzten Jahren also in weitaus geringerem Maße auseinandergegangen als jene zwischen Preisen und Einkommen. Denn ganz im Gegensatz zu den verfügbaren Haushaltseinkommen haben sich die Mieten im Betrachtungszeitraum (seit 2015) verglichen mit den anderen Ländern recht dynamisch entwickelt. Während die Attraktivität des heimischen Wohnimmobilienmarktes aus Anlegersicht somit in geringerem Maße abgenommen hat als in anderen Ländern, deutet die Mietentwicklung auf eine fundamentale (demografische) Berechtigung der Preisanstiege hin.
Leistbarkeitszahlen angespannt |
OECD, RBI/Raiffeisen Research |
Monatliche Kosten, nicht Preisniveau, bestimmen die Kaufentscheidung
Der Trend bei den oben genannten Erschwinglichkeitsindikatoren zeigt eindeutig nach unten. Trotzdem ist die Eigentumsquote in den letzten Jahren großteils konstant geblieben und das Wachstum der Hypothekarkredite ist seit einigen Jahren unverändert hoch. Es scheint, dass diese Indikatoren nicht das gesamte Bild zeigen, insbesondere berücksichtigen sie nicht einen der wesentlichen Faktoren für die Entscheidung, eine Immobilie zu kaufen. Auf der Haushaltsebene basiert die Entscheidung zum Kauf (gegenüber der Anmietung) denn auch nicht auf dem nominalen oder realen Preis der Immobilie, sondern auf den monatlichen Kosten bzw. der Rate der erforderlichen Hypothek (im Vergleich zum Mietniveau, das als Substitut gilt). So gibt es zwei Möglichkeiten, die Preissteigerungen abzumildern: Zum einen durch die Reduzierung der Tilgungszahlungen durch eine längere Kreditlaufzeit, zum anderen durch die Senkung der Zinslast. Dabei wird deutlich, dass aufgrund des anhaltenden Niedrigzinsumfeldes, die Zinsen eine immer geringere Rolle bei den monatlichen Zahlungen spielen, auch wenn die Zinsen dieses Jahr ihr Tief durchschritten haben dürften. Daher bleibt der Kauf relativ attraktiv, weil der Rückgang der monatlichen Hypothekenzahlungen den Preisanstieg teilweise kompensiert. Korrigiert man die Entwicklung der Immobilienpreise um diese, durch die Zinsänderungen implizierten Veränderungen des monatlichen Schuldendienstes, erscheinen sowohl das Preiswachstum der vergangenen Jahre als auch die Preisaussichten für die Zukunft in einem anderen Licht.
Niedrigere Zinssätze kompensieren das Preiswachstum außerhalb der Hauptstadt
OeNB, RBI/Raiffeisen Research |
* maximale Beleihungssumme bei gleichbleibender monatlicher Rate, unter der Annahme der Einhaltung der Beleihungsstandards. |
Bezogen auf das Preisniveau des Jahres 2010 und unter Berücksichtigung der Richtlinien für die Vergabe von Hypothekardarlehen betrug im Jahr 2010 die durchschnittlich notwendige Hypothekensumme für eine Wohnung mit 130 Quadratmetern 204.585 Euro (angenommener Eigenmittelanteil: 20 %). Bei dem damals vorherrschenden Zinssatz für Hypothekarkredite – der Einfachheit halber mit einer Zinsbindungsfrist von 10 Jahren oder mehr (4,2 % im März 2010) – und bei einer Kreditlaufzeit von 30 Jahren betrug der monatliche Schuldendienst rund EUR 1.000. Inzwischen sind die Hypothekenzinsen allerdings auf etwa 1,4 % gesunken, was die monatliche Rate für eine ähnlich große Hypothek um etwa 31 % auf 692 EUR reduziert hat. Umgekehrt bedeutet dies, dass aufgrund des gesunkenen Zinsniveaus ein um 45 % höherer Kreditbetrag aufgenommen werden kann, als dies im Jahr 2010 der Fall war.
Mit dieser „Inflation“ der theoretischen Beleihungssumme können wir das reale Preiswachstum, das wir im letzten Jahrzehnt gesehen haben, abermals korrigieren. Zunächst betrachten wir den Fall der Immobilienmärkte außerhalb der Bundeshauptstadt Wien, wo die Preise in der letzten Dekade nominal um rund 86 % gestiegen sind. Real (also inflationsbereinigt) erreichte das Preiswachstum seit Anfang 2010 immerhin 52 %. Nochmals korrigiert um den eben beschriebenen Effekt des Zinsrückgangs auf die monatlichen Hypothekenzahlungen bzw. die maximale Beleihungssumme wird dieser Preisanstieg jedoch fast vollständig ausgeglichen. Die durchschnittlichen monatlichen Kosten für die Verschuldung sind so schnell gesunken, dass die Preise, dargestellt in die Höhe der monatlichen Zahlungen, seit 2010 nur um 5 % gestiegen sind.
Österreich (exkl. Wien): Preissteigerungen durch Zinsen gedämpft |
OeNB, RBI/Raiffeisen Research |
* Q1 2010 = 100 |
Anders die Situation in Wien. Hier konnten die Preissteigerungen der letzten Dekade nicht durch anhaltende Zinssenkungen kompensiert werden. Nominal haben sich die Preise seit 2010 verdoppelt, in realer Rechnung betrug der Zuwachs immerhin 63 %. Korrigiert um das gesunkene Zinsniveau und die damit einhergehende verringerte monatliche Kreditbelastung betrug das Wachstum seit 2010 immer noch deutliche 13 %, was eine wesentliche Verschlechterung der Leistbarkeit trotz sinkender Zinsbelastung darstellte. Als mildernder Faktor kann in diesem Zusammenhang jedoch noch die Verlängerung der durchschnittlichen Laufzeit von Hypotheken gesehen werden, was bedeutet, dass nicht nur die Zinszahlungen, sondern auch die monatlichen Tilgungsraten gesunken sind. Auf diese Weise konnten die Verbraucher ihre monatlichen Zahlungen so weit nach unten drücken, dass sie sich trotz der kräftigen Preissteigerungen eine Wohnung oder ein Haus leisten konnten.
Wien: Preiswachstum durch Zinssenkungen nur teilweise aufgefangen |
OeNB, RBI/Raiffeisen Research |
* Q1 2010 = 100 |
Ausblick: Erschwinglichkeit wird zum limitierenden Faktor
Zusammenfassend können wir sehen, dass die jüngsten Preissteigerungen noch weitgehend mit den Zinssenkungen zusammengefallen sind, die immer größere Hypothekensummen bei kaum veränderten Monatsraten ermöglichten. Dieser "Zinseffekt" zeigt auch, warum viele Haushalte, obwohl die realen Preise schneller steigen als die Mieten, immer noch den Kauf der Miete vorziehen. Gleichzeitig wird dadurch deutlich, warum die Erschwinglichkeit zu einem hemmenden Faktor für das weitere Preiswachstum werden sollte: Zwar dürfte das Zinsniveau noch auf Jahre niedrig bleiben. Die Zeit der kontinuierlichen und deutlichen Zinsrückgänge sollte aber der Vergangenheit angehören. Das Potenzial zukünftiger Preissteigerungen auf dem Immobilienmarkt ist daher - zumindest was den zinsseitigen Rückenwind anbelangt - tendenziell gebremst.