Blickpunkt EZB: Alles ist angerichtet für eine Zinssenkung im Juni

Ein letztes Mal hat die EZB die Leitzinsen unverändert belassen. Bei der nächsten Zinssitzung im Juni wird jedoch alles bereit sein, um den Zinssenkungszyklus in Gang zu setzen. Die heutige EZB-Sitzung ist als vorbereitende Sitzung zu verstehen, auf der es keine zusätzlichen Impulse gab.

In diesem Zinssenkungszyklus wird die EZB gegenüber der Fed mit einem Vorsprung starten

Markt-Pricing basiert auf kurzfristigen Forwards der OIS-Kurve (EA: €STR, US: EFFR) und spiegelt den entsprechenden Leitzinssatz wider.
Quelle: LSEG, RBI/Raiffeisen Research

"Sollte seine aktualisierte Beurteilung der Inflationsaussichten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission die Zuversicht des EZB-Rats weiter stärken, dass die Inflation sich nachhaltig dem Zielwert annähert, wäre eine Lockerung der aktuellen geldpolitischen Straffung angemessen."

Das ist der Schlüsselsatz des heutigen geldpolitischen Beschlusses der EZB. Eine Senkung der Leitzinsen ist angebracht, wenn die EZB in ihrem Kampf gegen die Inflation weiter an Vertrauen gewinnt. Die Erklärung der EZB liest sich in Bezug auf die Inflation recht positiv. "Die Inflation geht weiter zurück", "die meisten Messgrößen für die zugrunde liegende Inflation lassen nach" und "das Lohnwachstum schwächt sich allmählich ab". Im März wurde das Lohnwachstum noch als stark bezeichnet, was dazu führte, dass der inländische Preisdruck hoch blieb. Das Vertrauen in die mittelfristigen Inflationsaussichten der EZB hat eindeutig zugenommen, was angesichts der Reaktionsfunktion der EZB bedeutet, dass eine erste Zinssenkung kurz bevorsteht. Die EZB bleibt datenabhängig, aber sollten die Inflationsdaten für April und Mai weitgehend den Erwartungen der EZB entsprechen, werden die Leitzinsen im Juni um 25 Basispunkte gesenkt. Der Hauptrefinanzierungssatz wird dann von 4,5 % auf 4,25 % und der Einlagensatz von 4,0 % auf 3,75 % sinken.

In der geldpolitischen Erklärung heißt es außerdem, dass sich die EZB "nicht auf einen bestimmten Zinspfad festlegt". Bei der Pressekonferenz waren wir jedoch auf Signale über das Tempo des Zinssenkungszyklus gespannt. Leider wurden außer der Betonung der Datenabhängigkeit der EZB keine Signale gegeben. In Anbetracht unserer Inflationsprognose, die für 2024 eine eher konstante Inflation vorsieht, gehen wir davon aus, dass die EZB die Zinssätze schrittweise um 25 Basispunkte pro Quartal senken wird, was es der EZB ermöglicht, eine potenziell volatile Entwicklung der Daten zu bewerten. Die meisten Fragen während der Pressekonferenz bezogen sich auf die Auswirkungen einer möglichen Verzögerung des Zinssenkungszyklus der Fed. Präsidentin Lagarde betonte, dass die EZB nicht direkt von der Fed beeinflusst wird, jedoch alle verfügbaren Informationen in ihre Wirtschaftsprognosen einbezieht. Sollten sich also Spillover-Effekte der Fed-Entscheidungen auf die Inflationsaussichten der EZB auswirken, könnte dies Auswirkungen auf die Geldpolitik der EZB haben. Unserer Ansicht nach müsste der Euro gegenüber dem derzeitigen Niveau aber noch viel weiter abwerten, um eine spürbare inflationäre Wirkung zu erzielen, auf die die EZB reagieren würde.

Der Markt reagierte wie erwartet. Swap-Zinsen und Bund-Renditen gingen infolge des heutigen EZB-Beschlusses zurück. Der Rückgang war am kurzen Ende der Kurven etwas stärker ausgeprägt. EUR/USD blieb im Großen und Ganzen stabil, wobei jedoch zu bedenken ist, dass der US-Dollar am Vortag aufgrund der unerwartet hohen US-Inflationsdaten deutlich zugelegt hatte.

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Franz ZOBL

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Franz ist seit 2020 im Team Economics, Rates, FX bei Raiffeisen Research tätig und beschäftigt sich federführend mit US-Geldpolitik, Benchmark Renditen und EUR/USD. Als Volkswirt blickt er auf einige Jahre Berufserfahrung im Finanzsektor zurück. Er hält einen PhD von der London School of Economics und hat an der Wirtschaftsuniversität Wien, der Universität Wien sowie der Universität Tilburg studiert. Er ist Autor wissenschaftlicher Artikel im Bereich der Makroökonomie und hegt eine Leidenschaft für Wirtschaftsgeschichte.