Perspektiven: Kryptos unter Druck - China macht Ernst, EZB ein wenig

Der Kryptomarkt kommt nicht in die Gänge und das schon seit mehreren Wochen. Negativer Newsflow dominiert. Positive Nachrichten gehen unter. Dass China nun tatsächlich den Stecker zieht, macht die Ausgangslage kurzfristig nicht besser – schafft aus unserer Sicht aber langfristig Potenzial. Pläne zum Digitalen Euro (oder anderen Retail Digitalwährungen von Notenbanken) sollte Krypto-Assets noch klarer als solche schärfen und ihnen den "Währungsstatus" nehmen.

Bitcoin in USD
Refinitiv, RBI/Raiffeisen Research

China zieht den Stecker

Nun ist es also tatsächlich passiert. China macht Ernst. Laut Nachrichtenagentur AFP, unter Berufung auf Aussagen lokaler Bitcoin-Miner, haben chinesische Behörden die Schließung von 26 Rechenzentren in Sichuan angeordnet. Energieversorger wurden aufgefordert, die Miner nicht mehr mit Strom zu beliefern.

Beim Bitcoin Mining handelt es sich um den Prozess, bei welchem dem Bitcoinnetzwerk Rechenleistung zur Verfügung gestellt wird. Dies dient der Transaktionsverarbeitung, Absicherung und Synchronisierung aller Nutzer. Der Prozess ist aufgrund seiner schlechten Energiebilanz in Verruf geraten. Die Rechercheplattform Digiconomist beziffert den Energieverbrauch aktuell mit rund 130 TWh pro Jahr – das entspricht einem höheren Verbrauch als Argentinien. Interpretiert man das Bitcoinnetzwerk als eigenen Staat, würde dies beim aktuellen Stand Platz 29 hinter Schweden im Länderranking bedeuten.


Wenn Bitcoin ein Staat wäre...
BitcoinEnergyConsumption.com, RBI/Raiffeisen Research
per 12.07.2021

Der massive Stromverbrauch allein wäre jedoch gar nicht so sehr das Problem, wenn die meisten Mining-Anlagen nicht in Regionen wie China ansässig wären und deren Aktivitäten in hohem Maße von kohlebasiertem Strom abhängen würden. Die schlechte Energiebilanz des Bitcoins ist China schon länger ein Dorn im Auge – neben vielen anderen Faktoren, die ein dezentrales Geldsystem mit sich bringt. Bereits vor wenigen Monaten wurde darum die Schließung diverser Mining-Unternehmen in den Provinzen Innere Mongolei und Qinghai angeordnet. Bürger seien sogar dazu aufgefordert, illegale Schürfer zu melden.

Die nun sanktionierte Region Sichuan stellt aber eine Ausnahme dar. Es handelt sich dabei um jene Staudammregion, die von einigen wenigen Minern gerne aufgrund erneuerbarer Energien als Standort genutzt wird. Die auf Wasserkraft setzenden Rechenzentren in Sichuan machen laut University of Cambridge einen Anteil von etwas weniger als 10 % aller chinesischen Miner aus. Bis zuletzt erhoffte man sich aufgrund der besseren Energiebilanz Milde von der Kommunistischen Partei. Vergebens. Zu groß ist die Sorge Chinas, die Kontrolle über den Geldmarkt zu verlieren. Mitte Juni erklärte die chinesische Zentralbank: Kryptowährungen und damit einhergehende Transaktionen seien eine Störung für die normale ökonomische und finanzielle Ordnung. All dies ist aber eigentlich nicht neu. Bereits vor einigen Wochen veröffentlichten die Verbände der chinesischen Finanzindustrie das Verbot ihrer Mitglieder für Geschäfte mit Bitcoin & Co. Schon damals hatte dies im Zusammenhang mit den kryptischen Tweets von Elon Musk für ordentliche Turbulenzen an den Kryptomärkten gesorgt. Dabei ist es doch überraschend, wie überrascht sich die Marktteilnehmer immer wieder in dieser Agenda zeigen.


Chinas Beziehung zu Bitcoin - es ist kompliziert

Denn Chinas kritische Haltung ist keine neue Erscheinung, sondern nahm bereits 2013 ihren Lauf. Zu der Zeit wurde chinesischen Banken und Finanzdienstleistern die Verwendung und der Umgang mit Bitcoin untersagt. Damit wollte man vor allem Transaktionen einen Riegel vorschieben, während der Besitz legal blieb. 2017 erfolgte schließlich ein Verbot für Krypto-Börsengänge, sogenannte Initial Coin Offerings (ICOs). Damit einhergehend wurde auch die Schließung aller chinesischen Kryptobörsen angeordnet, welche laut Reuters zur damaligen Zeit rund 90 % des globalen Kryptohandels ausmachten. Kryptofans fanden jedoch stets Wege Bitcoin & Co. trotzdem zu handeln – u.a. auch deshalb, weil manche chinesische Börsen die Verbote mit einem Wechsel des Standortes umgingen. Dass staatliche Stellen nun wieder einmal auf die Bremse drücken, sollte also eigentlich nicht allzu sehr erstaunen. Das Verbot, Dienstleistungen im Zusammenhang mit Kryptowährungstransaktionen zu erbringen und die Ambition das Schürfen zu unterbinden, verdeutlicht nur einmal mehr den Kontrollanspruch der Kommunistischen Partei über den Geldmarkt. China war bisher äußert restriktiv und wird es auch weiterhin bleiben.


Rechenpower "Made in China" geht woanders hin

Dass China nun Ernst macht, ist zum einen am angeschlagenen Sentiment ersichtlich, kann zum anderen aber auch an nackten Zahlen abgelesen werden. Bis vor gut einem halben Jahr hatten noch rund 2/3 aller Miningunternehmen ihren Sitz in China. Dies spiegelt sich nicht nur in der oben genannten Umweltdebatte wider, sondern führte auch in Bezug auf die sogenannte Hash Rate immer wieder zu Diskussionen. Die Hash Rate gibt vereinfacht gesagt die Rechenleistung an. Je höher diese ist, desto höher der Wettbewerb unter den Minern bei der Validierung neuer Blöcke. Eine höhere Hash Rate bedeutet daher auch eine höhere Sicherheit. Mit rund 65 % der Hash Rate hatten chinesische Miningunternehmen hierbei aber eine dominierende Position. Mit anderen Worten: Die Hash Rate war die meiste Zeit rund um den Globus ziemlich ungleich verteilt.


Anteile an globaler Hashrate im Zeitverlauf
Cambridge Centre for Alternative Finance, RBI/Raiffeisen Research

Der hohe Anteil an der Rechenleistung bedeutet zwar nicht automatisch, dass China den Markt kontrolliert. Dennoch entspricht die hohe Abhängigkeit nicht dem Ideal der Dezentralisierung und könnte zumindest theoretisch Probleme mit sich bringen. Bis heute herrscht aber in der Kryptoszene kein Konsens darüber welchen Einfluss die Hash Rate tatsächlich auf den Preis hat. Vertreter der Theorie "Price Follows Hash Rate" argumentieren, dass eine starke Veränderung der Rechenleistung mit einer gewissen zeitlichen Latenz auch eine Änderung des Preises bewirkt. Vertreter der Theorie "Hash Rate Follows Price" hingegen sehen die Veränderung der Hash Rate als Reaktion auf sich verändernde Kurse. Belastbare empirische Untersuchungen welche die eine, oder die andere These stützen sind jedoch Mangelware. In unserer Untersuchung konnten wir zumindest feststellen, dass bei rapiden Abfällen der Rechenleistung (Rückgang der Hash Rate um mehr als 2 Standardabweichungen, ausgehend von der üblichen Schwankungsbreite) ein Anstieg der Korrelation zwischen Veränderung der Hash Rate und der Preisentwicklung zu beobachten ist.

In unserer letzten Publikation haben wir darauf hingewiesen, dass ein allgemeines Miningverbot in China aufgrund des hohen Gewichts eben genau einen solchen Abfall der Hash Rate zur Folge haben würde – mit dementsprechenden Folgen für Kryptowährungen. Und genau das konnte in den letzten Wochen beobachtet werden. Die Hashrate des Bitcoins ist bedingt durch die Schließung der Rechenzentren auf den niedrigsten Stand seit September 2019 gesunken. Seit dem Hoch von Mitte Mai nahm die Leistung des Bitcoin-Netzwerkes damit um mehr als 50 % ab.


Geschätzte Anzahl von Terahashes pro Sekunde in 24h
blockchain.com, RBI/Raiffeisen Research

Dies mag kurzfristig schmerzhaft sein, wir vertreten jedoch die Sicht, dass eine Verlagerung der Miningaktivitäten grundsätzlich zu begrüßen ist. Eine solche ist wahrscheinlich, da Bitcoin als offenes Netzwerk es seinen Mitgliedern ermöglicht, ihre Aktivitäten jederzeit an einen anderen geografischen Standort zu verlagern. Dieser Prozess benötigt natürlich Zeit. Ein genauer Blick zeigt aber, dass China bereits in den letzten Quartalen konstant an Marktanteilen verloren hat – sehr zur Freude von Minern in anderen Staaten. Den derzeit geschätzten 46 % standen im Jahr 2019 noch 75 % gegenüber, wobei eine Abwanderung aus China vor allem in Richtung USA, Russland und Kasachstan zu beobachten ist. Der Kritikpunkt, dass China den Bitcoinmarkt dominiert, könnte im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen daher schon relativ bald entkräftet werden.


Retail Digitalwährungen der Notenbanken als Konkurrenz für Kryptowährungen?

Wichtige Notenbanken wie die EZB, die Fed aber auch die Chinesische Notenbank haben ihre Anstrengungen im Bereich der Etablierung von Digital-Währungen für private Endkunden (Retailkunden) intensiviert. Gemäß Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) arbeiten derzeit 86 % aller von ihr befragten Notenbanken (65) an Studien und Konzepten zu digitalen (staatlichen) Währungen. China ist hier derzeit der Spitzenreiter. Notenbanken wie die EZB wollen ihre Digitalwährungen bzw. Digitalen Euro aber ganz klar als Zahlungs- und Transaktionsmittel etablieren (also als "modernes Bargeld"), nicht als umfassendes Wertspeicherungs- und v.a. Veranlagungsvehikel bzw. als digitalen Wersteigerungs- und Anlagegegenstand. Damit gibt es hier keine direkte bzw. unmittelbare Konkurrenz zu privaten Kryptowährungen bzw. Kryptoassets mit geringem Einsatz als Zahlungsmittel. Indirekt können aber staatliche Digitalwährungen teils Anwendungsmöglichkeiten in der Realwirtschaft und der Finanzindustrie partiell begrenzen, etwas Hype aus dem Krypto-„Währungsmarkt“ nehmen bzw. der Spekulation entgegenwirken, dass sich eine private Kryptowährung wirklich als (gesetzliches) Zahlungsmittel etabliert. Damit werden private Kryptowährungen klarer in die Richtung von Kryptoassets geschoben. Mehr Details zum "Digitalen Euro" hier.

FAZIT


Die Kryptomärkte befinden sich nach wie vor in einer Phase, in der die Angst dominiert. Zu ausgeprägt war die Euphorie, zu überbordend waren die Zukunftsphantasien oder Gier. Ob nun ein neuer Kryptowinter bevorsteht, oder wir bis Ende des Jahres neue Höchststände sehen, kann niemand seriös beantworten. Wir gehen jedenfalls davon aus, dass der Kryptoboom am Ende mehr sein wird als eine reine Spekulationsblase, sondern dass tatsächlich nachhaltige Innovationen sowie Technologien daraus hervorgehen. All das soll aber die vergangenen Kursexzesse nicht rechtfertigen.

Gleichzeitig kann die Frage gestellt werden, ob Chinas Politik tatsächlich einen derartigen Gamechanger darstellt, wie es die Kursrückgänge implizieren. Wir vertraten stets die Meinung, dass der Erfolg und das Kurspotenzial von Kryptowährungen eng an die Akzeptanz und die Anwendungsmöglichkeiten in der Realwirtschaft und der Finanzindustrie gekoppelt sind – und in diesen Bereichen hat es zuletzt bedeutende Fortschritte gegeben, vor allem abseits von China. Welche das sind, welche Rolle Elon Musk dabei spielte, was aus den Plänen eines Social Media Giganten wurde, und ob der Bitcoin vielleicht an Dominanz verlieren könnte – all das finden Sie in unserem umfangreichen Krypto Update Q2 2021.

Hierbei handelte es sich um ein Update und eine Zusammenfassung unseres jüngsten Krypto-Longread. Für den Volltext mit weiteren Details und umfassenden Erläuterungen klicken Sie bitte auf den obigen Link.



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Manuel SCHLEIFER

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Als Aktienmarktstratege analysiert Manuel Schleifer die globalen Kapitalmärkte und leitet daraus konkrete Investmentideen ab. Zusätzlich liegt sein Fokus als Sektoranalyst auf internationalen Blue Chip Aktien des defensiven Konsums. Er ist lizenzierter Börsenhändler sowie studierter Betriebs- und Volkswirt und engagiert sich im Bereich neuer Medien und digitaler Währungen. Bevor Manuel im Jahr 2018 zur RBI kam, war er bei einem Start-up im Bereich der digitalen Vermögensverwaltung als Assetmanager tätig.

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Gunter DEUBER

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Gunter Deuber leitet seit 1. Jänner 2021 den Bereich Volkswirtschaft und Finanzanalyse (Raiffeisen Research) in der Raiffeisen Bank International (RBI). Seit 2011 ist Gunter Deuber in leitender Position im Volkswirtschafts- und CEE-Research der RBI tätig und hat die Zusammenarbeit mit seinen Research-Kollegen in den Tochterbanken der RBI in CEE kontinuierlich ausgebaut. Seit Anfang der 2000er Jahre analysiert er Volkswirtschaften, Bankensektoren und Marktthemen mit Fokus auf CEE- und EU/Euro-Themen für die RBI in Wien, aber auch im internationalen (Investment-)Banking-Kontext in Frankfurt. Er präsentiert die Sicht von Raiffeisen Research und seines Analyseteams regelmäßig auf Investoren- und Kundenveranstaltungen. Er ist ein gefragter Redner auf zentralen Veranstaltungen der Finanz- und Bankenbranche und Gastlektor an mehreren Universitäten/Lehranstalten. Im Jahr 2019 wurde er für das IVLP (International Visitor Leadership Program) des US-Außenministeriums nominiert. Gunter hat mehrere Sammelbände zu Euro-/EU-Krisenthemen veröffentlicht und diverse Artikel in Fachzeitschriften und Branchenmagazinen publiziert. Außerhalb des Büros genießt Gunter das Reisen mit seiner Familie und das Langstreckenlaufen.