Blickpunkt Österreich: Q2 BIP – Von der Winterdepression in die Sommereuphorie

Nach dem frostigen Winterhalbjahr ist ein umso wärmerer Konjunktur-Sommer erwartet worden. Der BIP-Zuwachs in Q2 von 4,3 % p.q. übertrifft dennoch die Erwartungen. Die Lockerungen in der Gastronomie & Hotellerie katapultierten die österreichische Konjunktur von den konjunkturellen Sorgenkindern des Winterhalbjahres zu den Hoffnungsträgern des (Früh-) Sommers. Allen Lieferengpässen zum Trotz stützten Industrie&Gewerbe die Konjunktur weiterhin.

Q2 BIP: Aufschwung mit Ansage

Nach dem auch im Euro-Vergleich frostigen konjunkturellen Winterhalbjahr (Q4/Q1) ist ein umso strahlender Konjunktur-Sommer erwartet worden. Mit den heute vermeldeten vorläufigen +4,3 % p.q. in Q2 sind jedoch unsere (+3,0 % p.q.) sowie die Konsenserwartungen (+3,5 % p.q.) in den Schatten gestellt worden. Zwar überwiegen auch bei den übrigen heute veröffentlichten Q2 BIP-Zahlen der Euroländer die positiven Überraschungen. Das konjunkturelle Sommer-Hoch ist hierzulande aber deutlich ausgeprägter ausgefallen, weshalb die österreichische Konjunktur zumindest in Q2 vom Pannenstreifen auf die Überholspur gewechselt ist. Stand heute verzeichnete in der Eurozone nur Portugal ein höheres BIP-Wachstum in Q2.

Q2 BIP (% p.q.): Stand 30.7. Österreich (fast) Euro-Spitzenreiter

Quelle: Eurostat, Raiffeisen Research
* kein Konsens

Österreichischer Sommer-Rebound ist ein Tourismus-Rebound

Dabei war das Plus in Q2 ein Aufschwung mit Ansage. Ebenso, dass Österreich im Euro-Vergleich auf die Überholspur gewechselt ist. Denn wenn uns das Corona-Jahr 2020 aus konjunktureller Sicht eines gelehrt hat, dann das: je tiefer der lockdown-bedingte Einbruch der Konjunktur, desto ausgeprägter der nachfolgende, lockerungsbedingte Aufschwung. Dass Handel, Verkehr, Hotels und Gastronomie zusammengenommen ein Plus gegenüber dem Vorquartal(!) von gut 20 % verzeichneten und damit der maßgebliche Grund für den Sommer-Rebound in Q2 sind, ist natürlich den Öffnungsschritten in der Hotellerie und Gastronomie geschuldet. Denn während der Einzelhandel keinen Nachholbedarf hatte, ist die Wertschöpfung in der Hotellerie und Gastronomie im Winterhalbjahr um nicht weniger als 80 % eingebrochen. Die Lockerungen dürften hier zu einem Plus von etwa 50 % gegenüber Q1 geführt haben (Detaildaten liegen noch nicht vor), womit etwa die Hälfte des BIP-Anstiegs in Q2 auf das Konto der Hotellerie und Gastronomie gehen würde. Der Sommer-Rebound ist somit zu einem erheblichen Teil ein Tourismus-Rebound.

Österreich Q2 BIP (% p.q.): Tourismus-Rebound

Quelle: Wifo, Raiffeisen Research

Industrie trotzt (noch) Lieferengpässen

Ferner zu erwähnen ist die weiterhin robuste Industriekonjunktur (+1,0 % p.q.), die in Q2 wie bereits zuvor eine stabile Konjunkturstütze darstellte, was sich bereits aufgrund der monatlichen Zahlen zur Industrieproduktion abgezeichnet hatte. Auch wenn Umfragen etwas anderes signalisieren – Materialknappheit wird wie andernorts als das mit Abstand größte Produktionshindernis eingeschätzt – hat sich die Industrie in den letzten Monaten überraschend robust gezeigt und sämtliche relevanten bzw. vergleichbaren Euro-Länder hinter sich gelassen. So ist insbesondere in Deutschland die Industrie kein Unterstützungs-, sondern Belastungsfaktor geworden. In dieses Bild passt auch die fortgesetzt positive Investitionsdynamik (Bruttoanlageinvestitionen Q2: +2,1 % p.q.), was angesichts der im Juli (Q3) auf ein Rekordniveau gekletterten Kapazitätsauslastung in der Industrie nicht verwunderlich ist.

"Konsum-Boom" nimmt Fahrt auf

Auf der Nachfrageseite ist neben dem deutlichen Wachstumsbeitrag der Netto-Exporte (wohl Spiegelbild der wieder angezogenen Nächtigungen ausländischer Gäste) der ebenso deutliche (+3,8 % p.q.) wie erwartbare Anstieg des privaten Konsums erwähnenswert. Das Q2 sollte dabei den Auftakt für einen „Konsum-Boom“ darstellen. Für diese „Renaissance des privaten Konsums“ ist es dabei nicht einmal notwendig, dass die zusätzliche Ersparnisbildung des Jahres 2020 konsumiert wird, immerhin etwa 15 Mrd. Euro oder 4 % des BIP. Denn bereits eine Normalisierung des laufenden Konsums - die Haushalte wenden also wieder ähnlich viel des laufenden Einkommens für den Konsum auf wie vor der Pandemie - hat einen signifikanten konjunkturellen Impuls zur Folge. „Entsparen“ ist daher ein Aufwärtsrisiko für Konjunktur, nicht aber die Voraussetzung für den unterstellten Aufholprozess.

2021: Österreich aufgrund schwachen Winters trotzdem unter Euro-Schnitt

Frostiges Winterhalbjahr und heißer Konjunktur-Sommer – was heißt das für das Gesamtjahr 2021? Zwar hat die deutliche Abwärtsrevision der zunächst positiv vermeldeten BIP-Zahl für das erste Quartal gezeigt, dass in Zeiten wie diesen mit signifikanten nachträglichen Änderungen immer wieder zu rechnen ist. Damit werden die zwischenzeitlich präsentierten Prognosen bereits zum Veröffentlichungszeitpunkt wieder Makulatur. Dennoch haben sich mit den heutigen vorläufigen Q2 Zahlen die Aufwärtsrisiken für unsere Gesamtjahresprognose von 3,5 % erhöht, auch wenn sich unsere immerhin seit April 2020 gültige Prognose mittlerweile in „guter Gesellschaft“ befindet. Wir haben in den letzten Monaten jedoch schon hingewiesen, dass dieser Wert bereits als Untergrenze zu verstehen ist. Dennoch dürfte Österreichs Wirtschaft 2021 etwas langsamer wachsen als die Eurozone insgesamt. Dies ist dem schwachen Winterhalbjahr geschuldet, das für das Gesamtjahreswachstum eine Hypothek darstellt. Gleichzeitig schafft der unterstellte dynamische Sommeraufschwung aber die Voraussetzung dafür, dass Österreich 2022 mit von uns prognostiziertem BIP-Plus von 5 % die Eurozone überrundet. Natürlich dominiert die Delta-Ausbreitung aktuell die Schlagzeilen. Ein abermaliger Herbst/Winter-Lockdown ähnlich jenem des letzten Winterhalbjahres würde dabei insbesondere Q4 und je nach Dauer auch das Q1 belasten und damit in stärkerem Maße das Gesamtjahreswachstum 2022 als 2021. Allerdings denken wir nicht, dass angesichts von Impffortschritt und 3G ein etwaiger (aktuell von uns nicht erwarteter) Lockdown ähnlich jenem des voran gegangenen Winterhalbjahres plausibel ist. Ebenso sollten die Lieferschwierigkeiten in der Industrie die Konjunktur insgesamt nicht nennenswert belasten, auch wenn substanzielle Linderung wohl erst 2022 zu erwarten ist.

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Matthias REITH

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Matthias Reith blickt auf mehr als 10 Jahre Erfahrung bei Raiffeisen Research zurück. Damals wie heute ist er verantwortlich für die Analyse der österreichischen Volkswirtschaft, im Jahr 2020 hat er zudem maßgeblich das österreichische Bundesländer-Immobilienresearch mit aufgebaut. Ferner befasst sich Matthias Reith mit anderen Euroländern sowie der gesamten Eurozone und nimmt dabei neben der Konjunktur insbesondere die Fiskalpolitik ins Visier. Matthias Reith kann neben regelmäßiger Vortragstätigkeit auch mehrjährige Unterrichtserfahrung vorweisen. Wandern zählt zu seinen Hobbys, das Land seiner schwerpunktmäßigen Analyse hat Matthias Reith zu Fuß von Ost nach West durchquert.