Perspektiven: Geldpolitik in Bewegung in Westeuropa und CE/SEE

Die Geldpolitik europäischer Notenbanken – bei der EZB, auch in Mittel- und Südosteuropa – ist derzeit im Umbruch. Geldpolitische Strategien und Instrumente werden überdacht, es gibt aber auch eine Rückkehr zur Orthodoxie. Die Veränderungen gehen damit nicht unbedingt in die gleiche Richtung. Im Zentralbankjargon gesprochen ist die EZB eher auf der "taubenhaften" (dovishen) Seite, während Notenbanker in CE/SEE in letzter Zeit eher im "Falkenlager" (hawkish) sind.

QE in CE/SEE: Effektiv, aber fünfmal geringere Dosis als in Westeuropa

Wie andere Zentralbanken in Emerging Markets verstärkten auch die wichtigsten CE/SEE-Zentralbanken ihre geldpolitischen Maßnahmen, um die Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die lokalen Volkswirtschaften und Märkte abzumildern. Zum ersten Mal begannen Notenbanken in Polen, Ungarn und Rumänien mit dem Ankauf von Vermögenswerten in größerem Umfang, also QE (Quantiative Easing). Interessanterweise führte der hohe Vorkrisen-Leitzins in Tschechien (als Folge eines proaktiveren Ansatzes vor der Pandemie) zu kräftigen Zinssenkungen, aber QE wurde nicht gebraucht – auch wenn die rechtlichen Grundlagen geschaffen wurden; nicht zu vergessen, dass hier umfangreiche antizyklische Instrumente in Form von Regulierungsmaßnahmen für den Bankensektor zur Verfügung standen.

Polen, das das umfangreichste QE-Programm in CE/SEE einführte, zielte vor allem darauf ab, den Markt in Erwartung eines großen Angebots an Staatsanleihen mit Liquidität zu versorgen. Dennoch kam das QE der NBP, mit den größten Käufen zu Beginn des Programms, bei nur knapp über 5 % des polnischen BIP (geschätzt für 2021) zum Liegen. Die Käufe beliefen sich bisher auf rund EUR 30 Mrd. oder 13 % der ausstehenden Anleihen. Dies ist viel weniger als das von der EZB geführte QE-Programm in der Eurozone, das 27 % des BIP oder 33 % der ausstehenden Staatsanleihen ausmacht (25 % des deutschen BIP, 43 % deutscher Bundesanleihen). In Ungarn und Rumänien begannen die QE-Programme in viel kleinerem Umfang und zielten hauptsächlich auf die Stabilisierung der Finanzmärkte ab. Insbesondere die rumänische Zentralbank implementierte de facto ein "QE light" mit ad-hoc Käufen, die sich lediglich auf 0,5 % des BIP oder 2-3 % der ausstehenden Staatsanleihen belaufen.

CE/SEE vs. Euroraum: QE-Marktauswirkungen (% ausstehender Staatsanleihen)

Die Unterschiede im Umfang der QE-Programme in CE/SEE (oder in Schwellenländern im Allgemeinen) im Vergleich zu fortgeschrittenen Volkswirtschaften wie dem Euroraum sind nicht überraschend. Solche Ökonomien sind anfälliger für Kapitalflucht und Währungsabwertung, die (Markt-)Grenzen für eine groß angelegte und langfristige QE-Politik darstellen – was Marktentwicklungen während der Pandemie bewiesen.

Die rumänische Notenbank intervenierte, um Abwertungsdruck zu begrenzen. In ähnlicher Weise musste die ungarische Zentralbank mit einer Zinserhöhung reagieren, um die HUF-Abwertung zu stoppen. Allerdings gibt es auch hier eine Differenzierung in der Region. In Polen agierte die Notenbank auf der anderen Seite des Devisenmarktes, zur PLN-Schwächung. Die Maßnahmen zielten hier darauf ab, die Wirtschaft über den Wechselkurskanal zu stützen, nachdem die NBP monatelang angedeutet hatte, dass die Anpassung bzw. Abschwächung der Währung an die expansive Geldpolitik zu gering gewesen sei. Dieser Unterschied am Devisenmarkt ist ein guter Hinweis darauf, warum Polen es sich leisten konnte, ein QE-Programm in größerem Umfang als Rumänien und Ungarn zu starten. Der Schluss liegt nahe, dass der QE-Spielraum umso größer ist, je höher das Marktvertrauen und die kumulierte Notenbankglaubwürdigkeit sind. Und in Bezug auf diese Dimensionen ist die EZB CE/SEE-Notenbanken (noch) voraus. Vor allem aber ist das umfassende QE im Euroraum eine Reaktion auf das jahrelange Unterschießen von Inflationszielen und Inflationserwartungen. Hier ist es wichtig, die Divergenz zur CE/SEE-Region zu betonen, da die Reflation hier im Lichte aktueller Inflationszahlen viel ausgeprägter ist (als im Euroraum), was die Zuversicht verstärkt, dass QE hier aus geldpolitischer Sicht nicht nachhaltig notwendig ist.

QE wird in CE/SEE größtenteils auslaufen

So wie die COVID-19-Krise in CE/SEE in der Realwirtschaft schnell überwunden wurde, so schnell scheint QE zu verschwinden. In Polen können wir bereits aktive Diskussionen über die Zukunft der Geldpolitik und das Ende von QE beobachten. Nach Andeutungen des NBP-Gouverneurs soll vor einer Zinserhöhung ein Ende von QE als Schritt zur Normalisierung angekündigt werden. Wir erwarten, dass dies bis zum Ende dieses Jahres geschehen wird. Die Ungarische Nationalbank (MNB) plant einen anderen Weg für den Ausstieg aus dem Krisenmanagement als die großen Zentralbanken (EZB, Fed) und die NBP. Die MNB begann mit Zinserhöhungen (ab Juni), auf die der Rückbau unkonventioneller politischer Instrumente zur Bewältigung der Krise folgen könnte (z.B. spezielle Kreditprogramme), während sie ihr QE-Programm vorerst und bis wohl ins Jahr 2022 beibehält. Höchstwahrscheinlich wird die MNB ihr QE-Programm länger beibehalten, und wir identifizieren die EZB (wo sich für 2022 eine sehr graduelle Reduzierung der Anleihekäufe abzeichnet) als Maßstab für den Zeitpunkt des Tapering in Ungarn. Im Falle Rumäniens erwarten wir keine größeren Änderungen im Verhalten der Zentralbank (BNR) beim Kauf von RON-Anleihen am Sekundärmarkt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die BNR den lokalen Anleihemarkt in Phasen starker Turbulenzen weiter stützen wird, mit dem Ziel, ein angemessenes Funktionieren des Staatsanleihemarktes (einschließlich der Zuflüsse von Gebietsfremden) zu gewährleisten.

EZB wandelt unkonventionelle Geldpolitik in konventionell um, CE/SEE-Notenbanken werden nicht folgen

Sicherlich waren die Effekte der QE-Ankündigung in CE/SEE sowie die anfänglichen positiven Auswirkungen auf Marktliquidität und Vertrauen der Anleger zu Beginn der Pandemie wichtig. Für die Zukunft sehen wir angesichts der soliden lokalen Wachstums- und Inflationsdynamik keine geldpolitischen Gründe, die QE-Programme in CE/SEE als unbefristete Pakete oder als langlaufende Maßnahmen mit regelmäßigen und umfangreichen Anleihekäufen fortzusetzen. Dennoch könnte QE ein hilfreiches Instrument sein, um eine marktstabilisierende Flexibilität zu bewahren, da die Rückführung der ultraexpansiven Geldpolitik in den USA und im Euroraum von (Markt-)Unsicherheiten geprägt sein könnte.

Betrachtet man die regionale geldpolitische Ausrichtung, so sehen wir in CE/SEE derzeit die "Falken" am Steuer, was durch die kürzlich eingeleiteten Zinserhöhungszyklen in Tschechien und Ungarn unterstrichen wird. Die ungarische Zentralbank hat einen Wechsel hin zu einer proaktiveren Politik angekündigt, was zu Zinserhöhungen bei jeder ihrer geldpolitischen Sitzungen führen könnte. Damit konzentrieren sich die geldpolitischen Änderungen derzeit auf den konventionellen Instrumentenkasten. Ganz anders die Situation bei der EZB, wo derzeit die "Tauben" das Sagen zu haben scheinen. Die jüngste Anpassung des Inflationsziels kann als implizite leichte Anhebung des Inflationsziels interpretiert werden, während die EZB die unkonventionellen geldpolitischen Instrumente (endlich) zum Standard erklärt hat. Hier wirkte also die normative Kraft des Faktischen. Die EZB beabsichtigt, bisher unkonventionelle Instrumente wie Zinsversprechen (Forward Guidance), Assetkäufe und längerfristige Refinanzierungsgeschäfte als "neue" Standardinstrumente in bestimmten Phasen des geldpolitischen Zyklus oder an der sogenannten "effektiven Zinsuntergrenze" weiter einzusetzen. Siehe auch "Blickpunkt EZB: Neue Strategie, was ist neu, was zementiert den Status quo?".

Die Periode der aktiven Nutzung von QE in CE/SEE kann insgesamt 12-36 Monate dauern (abhängig vom weiteren Tapering) und hat in Tschechien nie begonnen. Mittlerweile befinden wir uns bereits im siebten Jahr von QE innerhalb der Eurozone, wobei die aktuelle Runde aktiver Käufe wahrscheinlich weitere 12-24 Monate andauern wird. Ganz zu schweigen von den Reinvestitionen, die bei der EZB noch länger andauern können.

Marktauswirkungen von CE/SEE QE in Umfang und Dauerhaftigkeit im Vergleich zum Euroraum begrenzt

Insgesamt bleibt der Markteinfluss regionaler QE-Programme und unkonventioneller geldpolitischer Maßnahmen in CE/SEE auf die langfristigen Zinssätze unserer Meinung nach deutlich geringer als im Euroraum oder den USA. In den USA deuten Schätzungen auf einen (kombinierten) renditedämpfenden Effekt der unkonventionellen Geldpolitik von ca. 100-150 Basispunkten hin, im Euroraum von 150-200 Basispunkten. Allerdings spielen hier viel höhere relative QE-Größenordnungen, Bestandseffekte von QE (Reinvestitionen), kombiniert mit umfangreichen Neukäufen und Zinsversprechen ("Forward Guidances") eine wichtige Rolle, um zu solchen Marktwirkungen zu kommen. Im Euroraum sind auch die Negativzinsen von Bedeutung. Da Maßnahmen wie lang laufende Forward Guidances oder Negativzinsen in CE/SEE keine Rolle spielen und die Bestandseffekte von QE begrenzt sind, würden wir die zinsdämpfende Wirkung auf langfristige Renditen in einer Größenordnung von 10-40 Basispunkten sehen (also eher ähnlich zu Effekten wie zu Beginn von QE in westlichen Märkten). Derzeit werden diese Effekte möglicherweise sogar durch "geldpolitische Überraschungen", d.h. frühere Zinserhöhungen als erwartet, überlagert. Darüber hinaus deuten eine bereits jetzt begrenzte Kaufaktivität (in Zeiten immer noch beträchtlicher Haushaltsdefizite und starken BIP-Wachstums) wie in Rumänien und ein sich abzeichnender QE-Ausstieg in Ländern wie Polen ebenfalls auf eher begrenzte langfristige renditedämpfende Effekte hin. Daher denken wir, dass renditedämpfende QE-Effekte auf die langfristigen Zinsen in CE/SEE schnell wieder verpuffen können, eine völlig andere Situation als in Westeuropa. Hier könnten QE-induzierte renditedämpfende Effekte bis weit in die 2030er Jahre hinein bestehen bleiben, je nach Reinvestitionshorizont der EZB.

Einige vorausschauende und abschließende Überlegungen

Derzeit konzentrieren sich politische und ökonomische Narrative auf Wirtschaftswachstum und nicht auf eine Rückkehr zu niedrigen Fiskaldefiziten, was indirekt den Druck zum Rückzug aus QE-Programmen senkt. Allerdings ist die derzeitige Zustimmung, die sich in Finanzmarktindikatoren oder Kommentaren der Ratingagenturen zeigt, zu diesem Kurs nicht für immer gegeben. Solche Überlegungen sind umso relevanter, als es einige Anzeichen gibt, dass sich Marktteilnehmer zunehmend Sorgen über die Einschränkungen der operativen Unabhängigkeit der großen Zentralbanken machen, unter anderem aufgrund der QE-Nebeneffekte und damit verbundener Markterwartungen.

Die QE-Programme, die als Reaktion auf die Pandemie in CE/SEE aufgelegt wurden, hatten einen viel geringeren Umfang als in fortgeschrittenen Volkswirtschaften, was angemessen ist. Denn hier könnten die Marktanleger schnell ein Unbehagen mit groß angelegten und lang laufenden QE-Programmen verspüren, es gibt weniger "feste" oder quasi vorherbestimmte internationale Nachfrage nach Staatsanleihen als in großen, entwickelten Volkswirtschaften, die "sichere Anlagen" anbieten. Wir sind jedoch der Meinung, dass die fortgeschrittenen Volkswirtschaften das "exorbitante" Privileg, in der Lage zu sein, QE in großem Umfang und ohne Nebenwirkungen einzusetzen, nicht als gegeben und unbegrenzt dehnbar hinnehmen sollten.

Schließlich spiegeln die jüngsten geldpolitischen Entwicklungen und Divergenzen auch unsere seit langem vertretene Ansicht wider, dass die geldpolitischen Zyklen zwischen dem Euroraum und CE/SEE noch für lange Zeit divergieren sollten. Selbst wenn man die politische Debatte beiseite lässt, ist ein Beitritt zum Euroraum in CE/SEE über die derzeitigen Kandidaten hinaus (Kroatien, Bulgarien) unserer Meinung nach eine sehr weit entfernte Option, auf die man nicht vor den 2030er Jahren wetten sollte.

Eine ausführlichere Betrachtung des geldpolitischen Ausblicks für CE/SEE finden Sie in unserem Bericht "CEE Insights: Geldpolitik in der (Post-)Pandemie-Ära" (in englischer Sprache).

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Gunter DEUBER

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Gunter Deuber leitet seit 1. Jänner 2021 den Bereich Volkswirtschaft und Finanzanalyse (Raiffeisen Research) in der Raiffeisen Bank International (RBI). Seit 2011 ist Gunter Deuber in leitender Position im Volkswirtschafts- und CEE-Research der RBI tätig und hat die Zusammenarbeit mit seinen Research-Kollegen in den Tochterbanken der RBI in CEE kontinuierlich ausgebaut. Seit Anfang der 2000er Jahre analysiert er Volkswirtschaften, Bankensektoren und Marktthemen mit Fokus auf CEE- und EU/Euro-Themen für die RBI in Wien, aber auch im internationalen (Investment-)Banking-Kontext in Frankfurt. Er präsentiert die Sicht von Raiffeisen Research und seines Analyseteams regelmäßig auf Investoren- und Kundenveranstaltungen. Er ist ein gefragter Redner auf zentralen Veranstaltungen der Finanz- und Bankenbranche und Gastlektor an mehreren Universitäten/Lehranstalten. Im Jahr 2019 wurde er für das IVLP (International Visitor Leadership Program) des US-Außenministeriums nominiert. Gunter hat mehrere Sammelbände zu Euro-/EU-Krisenthemen veröffentlicht und diverse Artikel in Fachzeitschriften und Branchenmagazinen publiziert. Außerhalb des Büros genießt Gunter das Reisen mit seiner Familie und das Langstreckenlaufen.

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Dorota STRAUCH

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Dorota Strauch leitet die Wirtschaftsforschung zu Polen in der RBI-Filiale in Warschau. Sie begann ihre Tätigkeit in der polnischen RBI-Netzwerkbank im Jahr 2010. Im Jahr 2017 wurde sie Leiterin des polnischen Research-Teams. Nach ihrem Master-Abschluss in Financial Markets and Banking vertiefte sie ihr Wissen, indem sie 2016 CFA-Charterholder wurde. In den folgenden Jahren konzentrierte sie sich auf die Verbesserung der Datenanalysefähigkeiten mit Hilfe der Programmiersprache Python. Neben den aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen in Polen und der CEE-Region interessiert sie sich besonders für die Auswirkungen neuer Technologien auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.