Kurzfassung: Inflationsgespenster und langfristiges Inflationspotenzial

Kurzfristig (in den kommenden 12-24 Monaten) ist klar, dass die Inflationsraten bzw. deren Jahresveränderungsraten in den großen entwickelten Volkswirtschaften (Euroraum, USA) erstmal wieder sinken sollten, aber mittel- bis langfristig gibt es derzeit sehr viele Unwägbarkeiten und unterschiedliche Meinungen der Ökonomen. Je nachdem, wie sich politische Präferenzen gestalten, ist sowohl in den USA wie Europa in den kommenden 10 Jahren mit höheren Inflationsraten als in den letzten 10 Jahren zu rechnen – eine Hyperinflation sehen wir aber eindeutig nicht!

AUSGANGSLAGE

In den USA ist die Konsumentenpreisinflation in den letzten Monaten auf viel beachtete Werte über 5 % angestiegen. In Europa könnten wir in den kommenden Monaten bei den Konsumentenpreisen an der 3 % Marke kratzen, in Deutschland sind Preissteigerungen an die 4 % möglich. Was sich derzeit auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten abspielt, ist genau genommen aber (noch) nicht Inflation! Wir sehen „nur“ mehr oder minder kräftige Preissteigerungen gegenüber dem Vorjahr – auch geprägt durch Sondereffekte.

Inflationsraten in der Eurozone stark ansteigend
HVPI in % p.a.
Refinitiv, RBI/Raiffeisen Research

Von Inflation spricht man erst, wenn sich die Preisentwicklung über einen längeren Zeitraum kontinuierlich nach oben bzw. über das Inflationsziel der Notenbank bewegt. Aus diesem Grund stellen Notenbanken bei ihren Inflationszielen auch immer die Mittel- und Langfristigkeit der Zielvorgabe in den Vordergrund. Deshalb betonen auch die Vertreter der EZB wie auch der Federal Reserve, dass aktuelle Preisanstiege vorerst einmal nicht besorgniserregend und “temporär” (“transitory”) sind, weil eben kurzfristiger Natur. Entscheidend ist daher, was spielt sich längerfristig ab und welche Einflussfaktoren werden für die Preisentwicklung relevant .

KERNAUSSAGEN

Mittel- bis langfristiger Inflationsausblick: Mit Unsicherheit behaftet, Resultat politischer Entscheidungen, aber höheres Inflationspotenzial als zuletzt

Die nächsten zehn Jahre haben ein deutlich höheres Inflationspotenzial als die vergangenen zehn Jahre. Wir denken, dass einige der strukturell und global preisdämpfenden Faktoren der letzten Dekaden in den 2020er Jahren schrittweise an Wirkungskraft verlieren könnten (z.B. Globalisierung, Demografie bzw. Ersparnisüberhang). Andere preisdämpfende Faktoren verbleiben (Digitalisierung), während wir auch einige gesellschaftspolitische Trends sehen, die durchaus nachhaltig preiserhöhende Implikationen haben können. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass die Phase seit der Finanz- und Staatsschuldenkrise 2008/2009 eine deutlich unterdurchschnittliche Güterpreisentwicklung und eine deutlich überdurchschnittliche Finanzmarkt-Preisentwicklung gegenüber den langfristigen Trends gebracht hat.

Historisch niedrige Inflationsphase seit 2010
BIZ, RBI/Raiffeisen Research

Die Überschussliquidität der Zentralbanken, die von Finanzintermediären in Geldmenge der Nichtbanken gewandelt wird, dürfte aufgrund demografischer Entwicklung künftig anteilsmäßig weniger in die Finanzmärkte als in den privaten Konsum fließen. Damit nimmt der Einfluss des Geldmengenwachstums auf die Preisbildung am Finanzmarkt tendenziell ab und bei den Konsumentenpreisen tendenziell zu. Bei expansiver Geldmengensteigerung von über 4–5 % p.a. kann daraus eine künftig schwächere Preisentwicklung auf den Finanzmärkten und eine unterstützte Preisentwicklung bei den Verbraucherpreisen abgeleitet werden, wobei preisdämpfende Effekte aus dem Rückbau von Vermögenswertpreisblasen - gerade am Immobilienmarkt – möglich sind.

Geldmengenwachstum und Aktienkursentwicklung seit Beginn QE
Refinitiv, RBI/Raiffeisen Research

In den letzten zwei bis drei Dekaden bestimmte vor allem das ökonomische Kalkül internationale Standort- oder Lieferkettenentscheidungen. Dies könnte sich durch in den Vordergrund gerückte geopolitische und vor allem auf den Klimaschutz und weitere der ESG-Faktoren bezogene Entwicklungen ändern. Auch wenn hier teils marktwirtschaftliche Instrumente eingesetzt werden, müssen wir eine Tendenz zu einem höheren Anteil an administrativ-staatlicher Preisfestsetzung feststellen. Da es sich bei Klimaschutz und ESG um globale Entwicklungen handelt, können daraus nachhaltig preistreibende Trends entstehen. Nicht zu vernachlässigen ist hier auch, dass die USA durch einen substanziell preistreibenden Politikmix geprägt sind, deutlich stärker als in Europa. Dieser kann aber durchaus – wie wirtschaftshistorisch beobachtbar – Übertragungseffekte in andere Länder entwickeln.

CO2 Preise (in EUR/Tonne) in Europa noch ungenügend
worldbank RBI/Raiffeisen Research

Es muss auch festgehalten werden, dass obige Themen sowie die COVID-19-Pandemie schon eine Ausbreitung des Sektors Staat in wirtschaftlichen Belangen gebracht haben und möglicherweise noch bringen werden. Das schließt nicht nur die fiskalische, sondern nicht unwesentlich auch die regulatorische Tangente mit ein. Je stärker der öffentliche Bereich in wirtschaftliche Aktivitäten eingreift, desto größer ist auch die Gefahr höherer Preisentwicklungen im Vergleich zu einem marktwirtschaftlich dominierten Wirtschaftssystem.

Staatseinfluss und Inflation
Unterschiedliche Preisentwicklung am Beispiel Österreich
Refinitiv, RBI/Raiffeisen Research

Allerdings gilt zu betonen, dass gerade in Europa bzw. im Euroraum (leicht) höhere Inflationsraten näher bei den Werten der 1990er oder frühen 2000er Jahre nicht per se negativ zu interpretieren sind. Auch in der Vergangenheit konnten marktwirtschaftliche Systeme gut mit durchschnittlichen Preissteigerungsraten um 2–3 % bestehen. Solche Konsumentenpreissteigerungsraten sehen wir in der Eurozone und hier vor allem in Ländern mit schon jetzt engen Arbeitsmärkten (z.B. Österreich, Deutschland) längerfristig durchaus im Bereich des Möglichen. Zumal auch in solchen exportlastigen Ökonomien die skizzierten möglichen auslaufenden Effekte der Globalisierung besonders zum Tragen kommen können.

Wie hoch die künftige Teuerungsrate tatsächlich ausfällt, hängt auch von der Berechnung der Preisindizes ab. Die hedonische Methode führt tendenziell zu einem niedrigeren Ausweis der Preissteigerung, weil Qualitätsverbesserungen preisreduzierend kalkuliert werden.

Bei einer etwas prononcierteren mittel- und langfristigen Reflationsdynamik in Europa sollte zudem der Ausstieg aus (großen) Teilen unkonventioneller geldpolitischer Maßnahmen längerfristig möglich werden. Sollten die Inflationserwartungen bzw. -risiken nach der Welle der aktuellen Einmaleffekte in den Jahren 2021/2022 steigen, sehen wir die großen Notenbanken in der Lage, steigende Inflationserwartungen mit konventionellen Mitteln einzudämmen – auch wenn dies (für Finanz-Marktakteure) die eine oder andere Überraschung bringen könnte.

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Peter BREZINSCHEK

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Peter Brezinschek ist seit 1985 Chefanalyst der Raiffeisen Bankengruppe in Österreich. Von 1999 bis 2020 war er globaler Leiter von Raiffeisen Research. Er gründete 1992 die CEE-Analysetätigkeit in Österreich und lokal in Osteuropa. Seit 2002 hat er alle Wirtschafts- und Finanzanalyse der Raiffeisen Bankengruppe unter dem Namen „Raiffeisen Research“ gebündelt. Er hat an mehreren Fachbüchern als Ko-Autor mitgewirkt und tritt regelmäßig als Vortragender zu Wirtschaft und Finanzmarktthemen öffentlich auf. Seit 20 Jahren ist er als Experte im österreichischen Fiskalrat tätig. Schwerpunktinteresse sind die Ordnungs- und Wirtschaftspolitik im Zusammenhang mit Klimaschutz, Konjunktur sowie Geld- und Fiskalpolitik. Privat betreibt er gerne mehrere Sportarten um die Natur zu genießen und fit zu bleiben. Großes Anliegen ist die Finanzierung von Baumpflanzungen in Wien.

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Gunter DEUBER

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Gunter Deuber leitet seit 1. Jänner 2021 den Bereich Volkswirtschaft und Finanzanalyse (Raiffeisen Research) in der Raiffeisen Bank International (RBI). Seit 2011 ist Gunter Deuber in leitender Position im Volkswirtschafts- und CEE-Research der RBI tätig und hat die Zusammenarbeit mit seinen Research-Kollegen in den Tochterbanken der RBI in CEE kontinuierlich ausgebaut. Seit Anfang der 2000er Jahre analysiert er Volkswirtschaften, Bankensektoren und Marktthemen mit Fokus auf CEE- und EU/Euro-Themen für die RBI in Wien, aber auch im internationalen (Investment-)Banking-Kontext in Frankfurt. Er präsentiert die Sicht von Raiffeisen Research und seines Analyseteams regelmäßig auf Investoren- und Kundenveranstaltungen. Er ist ein gefragter Redner auf zentralen Veranstaltungen der Finanz- und Bankenbranche und Gastlektor an mehreren Universitäten/Lehranstalten. Im Jahr 2019 wurde er für das IVLP (International Visitor Leadership Program) des US-Außenministeriums nominiert. Gunter hat mehrere Sammelbände zu Euro-/EU-Krisenthemen veröffentlicht und diverse Artikel in Fachzeitschriften und Branchenmagazinen publiziert. Außerhalb des Büros genießt Gunter das Reisen mit seiner Familie und das Langstreckenlaufen.